Volksheim Göttingen

Ein Ort der Stärke und Identität für die Göttinger Arbeiterbewegung.

Von Sebastian Schmidt

Das Göttinger Volksheim war das politische und gesellschaftliche Kommunikations- und Aktionszentrum der Göttinger Gewerkschaften und Arbeiterparteien ab 1921. Neben einem Ort für Versammlungen und Büros der Gewerkschaften und Sozialdemokratischen Parteien, war das Volksheim auch ein Kristallisationspunkt für Kultur und Bildung der Arbeiterbewegung. Ebenso wurde die SPD-Zeitung das „Volksblatt“ in einem Nebengebäude des Volksheims gedruckt, bis das Gebäude 1933 von den Nationalsozialisten besetzt wurde.

Was ist ein Volksheim?

Als Volksheime, oder auch Volkshäuser, werden im deutschsprachigen Raum Einrichtungen der Arbeiterbewegung bezeichnet, die einen kulturellen und politischen Anlaufpunkt für die arbeitende Bevölkerung bieten. Sie entstanden ab dem frühen 20. Jahrhundert und beinhalteten Raum und Organisationsmöglichkeiten für Arbeiterparteien und Gewerkschaften. Oftmals boten die Volksheime auch Raum für eine Volksbildung der Arbeiterklasse.

Der Weg zur Gründung des Volksheims

Die Machtzunahme von Gewerkschaften Anfang des 20. Jahrhunderts und eine aufstrebende Arbeiterbewegung in Deutschland spiegelten sich auch in Göttingen wieder. Das Ziel der Arbeiterschaft war eine gute und gemeinsame Organisation von Arbeitern, Arbeiterparteien (hauptsächlich von der SPD vertreten) und Gewerkschaften in der Studentenstadt Göttingen zu schaffen.

Ein Hauptgrund für die Forderung nach einem neuen Haus für die Arbeiter und Gewerkschaften waren die räumlichen Probleme in dem bisherigen Versammlungsort der „Kaiserhalle“. Die Platzprobleme entstanden durch stark ansteigende Mitgliederzahlen der SPD, anderer Arbeiterparteien und der Gewerkschaften. Die Anstieg rasante ist zurückzuführen auf die revolutionären Ereignisse von 1918 (Bons u.a. 1986, S. 20).

Der vorherige Versammlungsraum, die Kaiserhalle“ am Wilhelmsplatz, galt auf Grund von Platz- sowie Licht- und Sonnenmangels und des unbeliebten Namens ungeeignet. Die Platzprobleme sorgten dafür, dass Büros und Versammlungen der Gewerkschaften und Parteien auf zahlreiche Orte und Lokale in der ganzen Innenstadt verteilt werden mussten. 

Der Aufschwung der Gewerkschaften half das Projekt mit finanziellen Mitteln voranzutreiben. Im Jahr 1921 machten sich die Gewerkschaften, im Namen des dafür gegründeten Trägervereins „Solidarität e.V. Göttingen“, auf die Suche nach einem geeigneten Ort für ein neues Haus. 

Das renovierungsbedürftige Lokal „Zum Bürgerpark“ im Maschmühlenweg 14/16, am Bartholomäus Friedhof , wurde für die üppige Summe von 325.000 Mark gekauft. Nach einer umfangreichen Sanierung, damit alle Gewerkschaften Platz finden konnten, wurde das Göttinger Volksheim schließlich am 11.9.1921 eröffnet. Die Göttinger Gewerkschaften waren besonders stolz, dass die Arbeiterbewegung das Projekt komplett selber finanziert und realisiert und damit ihren eigenen unabhängigen politischen und sozialen Treffpunkt geschaffen hatte (Bons u.a. 1986, S. 22).

Göttinger Volksblatt vom 1. Mai 1925.

Nutzung und Alltag im Göttinger Volksheim

Das Volksheim wurde mit ihren großen und umfangreichen Räumlichkeiten zum zentralen Treffpunkt für die ganze Göttinger Arbeiterschicht. Neben großen Festsälen, zahlreichen Büros, einem großen Garten mit Kegelbahn und einem Restaurant wurden im Dachgeschoss auch Wohnungen für Arbeiter gebaut. Die wichtigsten Aspekte des neuen Volksheims waren die zusammengelegten Geschäftsräume des Gewerkschaftskartells und der nötige Platz für die Organisation und politischen Zusammenkünfte der Arbeiterparteien. Aber auch gemeinsam gestaltete Freizeitaktivitäten und Feierlichkeiten waren der Arbeiterschaft sehr wichtig. (Bons u.a. 1986, S. 26). Die Orts- und Kreisvereine der SPD nutzten das Volksheim als festen Versammlungsort und arrangierten Bildungs- und Schulungsveranstaltungen in den Räumlichkeiten.

Im Obergeschoss befand sich die Arbeiterbibliothek mit dem Schwerpunkt auf politischer Literatur und Büchern zur Arbeiterbewegung und Gewerkschaftsgeschichte. Nach eigenen Angaben im Volksblatt wurde sie rege genutzt, um die Weiterbildung und eine Festigung ihrer Weltanschauung zu gewährleisten. 

Die Gaststätte im Volksheim wurde täglich gut besucht, u. a. weil es günstiges Essen und Getränke gab, und wurde damit zunehmend zu einem gesellschaftlichen Anziehungspunkt für die Arbeiterschaft und Veranstaltungsort für Kulturangebote. Zusätzlich zu einem festen Stammtisch für Gewerkschaftsfunktionäre, trafen sich fast jeden Freitag Betriebsräte, um einen regen Austausch über Organisation und Gepflogenheiten in den jeweiligen Betrieben zu betreiben. Dazu gehörten vor Allem große Göttinger Industriefirmen wie Alcan, Zeiss-Winkel, Spindler & Hoyer, Sartorius (Bons u.a. 1986, S. 31 ff.).

Im Zuge der umfangreichen Aus- und Umbauten nach der Eröffnung des Volksheims, wurde auch ein Nebengebäude neu errichtet. Das 1924 eröffnete „Haus des Volksblattes“ beherbergte die Druckerei der SPD-Zeitung „Volksblatt“, sowie weitere SPD Büros und die „Soziale Bauhütte“, ein genossenschaftlicher Bauverein, der auch die Arbeiten am Anbau ausgeführt hat. 

Enteignung durch die Nationalsozialisten

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging die bisherige Nutzung des Volksheims zu Ende. Am 26. April 1933 wurde das Haus erstmalig von der SA besetzt, die sich allerdings noch einmal zurückziehen musste, bis sie das Gebäude am 2. Mai 1933 dauerhaft an sich riss. Diesmal setzten sie ihre Besetzung mit brutalen Mitteln durch, als sie von 5. auf den 6. Mai SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre im Keller schwer misshandelten. Das Volksheim wurde daraufhin von der NS-Einheitsgewerkschaft Deutsche Arbeitsfront übernommen und in das „Haus der deutschen Arbeit“ umbenannt. Die Druckerei wurde den nationalsozialistischen „Göttinger Nachrichten“ und später der „Südhannoversche Zeitung“ übergeben. Die Arbeiterbibliothek bzw. der Bestand der Bibliothek wurde bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 komplett vernichtet und das Volksblatt bereits im Februar verboten (Bons u.a. 1986, S. 57ff).

Ab 1939 übernahm die Reichsbahn das Gebäude und nutzte es als Lager für ausländische Gefangene. Das Gebäude wurde erneut umbenannt und hieß nun „Am Stültebeck“. Im November 1944 wurde das Volksheim durch einen Bombenangriff im zweiten Weltkrieg komplett zerstört und ist Heute durch nichts mehr zu erkennen. Auch das „Haus des Volksblattes“ wurde stark beschädigt und erst Jahre nach dem Krieg wieder aufgebaut, so dass 1958 die SPD wieder in das Gebäude einziehen konnte (Bons u.a. 1986, S. 79f.).

Literatur

Bons, Denecke, Duwe u.A. (1986), „Bohnensuppe und Klassenkampf“. Das Volksheim. Gewerkschaftshaus der Göttinger Arbeiterbewegung von der Entstehung im Jahre 1921 bis zu seiner Zerstörung 1944, Göttingen.

von Saldern, Adelheid (1973), Vom Einwohner zum Bürger. Zur Emanzipation der städtischen Unterschicht Göttingens 1890-1920. Eine sozial-und kommunalhistorische Untersuchung, Berlin.

Online Verweise

„Göttinger Volksheim“: http://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/texte/sueltebeck1.htm (zuletzt aufgerufen am 18.01.2013)

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