Die Garnison zu Göttingen

Die Garnison zu Göttingen – Ort wechselvoller Beziehungen

von Alexander König

Die Stadt Göttingen ist für viele Menschen heute kaum noch als Garnisonstadt vorstellbar. Dabei waren von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1993 immer dutzende, hunderte und zu bestimmten Zeiten tausende Soldaten in Göttingen stationiert. Vor allem das 19. Jahrhundert stellt einen Einschnitt in der Beziehung der Göttinger zu „ihren“ Soldaten dar. 1835 wurde die erste feste Kaserne fertiggestellt und Göttinger Soldaten zogen aus den Bürgerhäusern in ihre kasernierte Unterkunft. Nichtsdestotrotz hatten die Soldaten weiterhin ihren Anteil am sozialen Leben in Göttingen.

Die Göttinger Garnison bis 1835

Mitte des 17. Jahrhunderts wurde erstmalig eine Garnison nach Göttingen beordert, um die damalige Grenzstadt des Königreichs Braunschweig zu schützen. Bis zu den Napoleonischen Kriegen blieb diese Garnison in nahezu gleichbleibender Größe in Göttingen stationiert. Zu diesem Zeitpunkt war das einzige militärische Gebäude das Amtshaus an der Ecke Weender Straße/ Barfüßerstraße. Erst nach dem Sieg über Napoleon 1815 entschloss sich das Königreich Hannover dazu, seine Armee zu verkleinern. Davon war auch Göttingen betroffen und die Soldaten verloren ihren gesellschaftlichen Platz in der Stadt. So schrumpfte die Garnison auf eine Größe von gerade mal 22 Soldaten im Jahr 1829, davon 14 Hauptmänner, fünf Unteroffiziere und lediglich drei einfache Soldaten (Sachse 1987, S.314).

Der Neubau der alten Kaserne am Geismar Tor und die Zeit bis zum I. Weltkrieg

Im Jahre 1833 entschloss man sich in Hannover dazu, die Stadt Göttingen wieder mit militärischem Personal aufzustocken. Man entschied sich, die Garnison in eine feste Unterkunft zu legen und begann mit dem Neubau einer Kaserne am ehemaligen Geismar Tor, dem heutigen Hiroshimaplatz. Diese Kaserne sollte vorerst als Verwaltungsstelle für das im Kreis Göttingen stationierte 1. leichte Infanterie-Regiment dienen, wurde jedoch später um weitere Gebäude ergänzt damit 1857 das 1. Jäger-Bataillon in Göttingen einziehen konnte (Meinhardt 1982, S.67). Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/1871 wurde das 2. Kurhessische Infanterie-Regiment Nr. 82 nach Göttingen verlegt und die Stadt erhielt ein für lange Zeit prägendes Merkmal, denn die sogenannten 82er waren auf sozialer Ebene gut in die Stadt integriert. Die Gründe dafür sind im preußischen Heerwesen zu suchen, dazu aber später mehr. In der wilhelminischen Ära wurde die Kaserne weiter Richtung Süden ausgebaut und nahm eine immer größere Anzahl an Soldaten auf (Meinhardt 1982, S.78). Heute steht von der alten Kaserne nur noch das zuerst errichtete Verwaltungs- und Stabsgebäude, welches heute von Teilen der Stadtverwaltung genutzt wird. Der Rest der Gebäude wurde nach dem Zweiten Weltkrieg oder vor dem Bau des Neuen Rathauses abgerissen.

Das Zusammenleben der Stadtbevölkerung und der Soldaten

Die in Göttingen stationierten Soldaten waren, soweit es im Rahmen des täglichen Dienstes möglich war, gut in das soziale Leben der Stadt integriert und wurden insbesondere nach dem Einzug des sogenannten 82er-Regiments herzlich aufgenommen. Für diese Integration gibt es verschiedene, auch von politischen Gegebenheiten abhängige Gründe. Bevor die königlich hannoversche Armee nach dem Krieg 1866 in der preußischen aufging, gab es das System der Stellvertreter. Die Stellvertreter konnten für eine Mitgift von 400 Talern durch die eigentlich Wehrpflichtigen angeworben werden, um sie vom Wehrdienst zu befreien (Meinhardt 1982, S.71). Die Stellvertreter ließen sich nach ihrer Dienstzeit oft in der Region nieder, da 400 Taler die Voraussetzung waren, um sich in einem Handwerk selbstständig zu machen oder einen landwirtschaftlichen Hof zu erwerben und so die bäuerliche Tradition fortzuführen. Daher waren sie auch bei den vor Ort Ansässigen auf Grund ihres Kapitals angesehen (Meinhardt 1982, S.72). Mit dem Eintreffen des 82er-Regimentes wurde auch die preußische Wehrpflicht in Göttingen umgesetzt. Die Wehrpflichtigen aus der Region Göttingen wurden dabei in grenznahe Kasernen kommandiert, während die Wehrpflichtigen aus den Grenzregionen im Inneren des Kaiserreichs ihren Dienst verrichten sollten. Die vorwiegend aus Elsass-Lothringen und dem Saarland stammenden Soldaten wurden in Göttingen sehr herzlich aufgenommen, da die Bevölkerung sie als eine Art Ersatzsöhne sah (Meinhardt 1982, S.78/79). Die Soldaten nahmen zu jeder Zeit rege an öffentlichen Feiern und Volksfesten in der Stadt teil und versuchen sich aktiv zu integrieren. Hierbei nahmen die Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade eine besondere Rolle ein, da ihre Aufmerksamkeit auch den ledigen Göttinger Frauen zukam. Die Kontakte zwischen den Soldaten und den Frauen unterlagen zwar den gesellschaftlichen Konventionen und Schichtungen dieser Zeit, nichtsdestotrotz ist davon auszugehen, dass die oben genannten Soldaten einen nicht unerheblichen Teil der Väter unehelich geborener Kinder (siehe auch: Accouchierhaus, Prostitution) stellten (Gattermann 2009, S.43). Auswertungen haben ergeben, dass Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade an einem nicht unerheblich Teil von unehelichen Geburten als Väter beteiligt waren. So waren in einem Viertel der geschlossen Ehen mit Soldaten niederer Ränge die Frauen bereits vor der Hochzeit schwanger oder hatten das Kind bereits geboren (Gattermann 2009, S.44).

Die Göttinger Kasernen bis heute

Die Göttinger Garnison blieb bis 1936 nahezu unverändert, jedoch wurde während des Ersten Weltkriegs hinter den Unterkünften des 82er-Regiments das Kriegsgefangenlager im Ebertal (siehe auch: Die Siedlung im Ebertal) errichtet. Ab 1936 wurden zum einen die Artillerie-Kaserne in Weende und zum anderen die Zietenkaserne in Geismar errichtet und sie waren ab 1937 bezugsfertig für die Soldaten (Stadtarchiv Göttingen, Chronik für das Jahr 1936, S.9). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die alte Kaserne, die Gebäude des 82er-Regiments und die Artillerie-Kaserne vernachlässigt und Stück für Stück abgerissen. Die Zietenkaserne wurde bis 1993 durch die Bundeswehr weiter genutzt. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung wurde sie aufgegeben die hier stationierten Verbände aufgelöst, da die Bedrohung durch die Armeen des Warschauer Paktes nicht mehr vorhanden war (Stadtarchiv Göttingen, Chronik für das Jahr 1993, S.9).

Literaturverzeichnis:

Gattermann, Claus Heinrich, 2009 Am Rande der Gesellschaft? Uneheliche Geburten in Göttingen von 1875 bis 1919, Seite 40-53, Göttingen.

Meinhardt, Günther, 1982 Garnisonsstadt Göttingen: Bilder aus 350 Jahren Stadtgeschichte, Göttingen.

Sachse, Wieland, 1982 Göttingen im 18. und 19. Jahrhundert, Göttingen.

Online Verweise:

Stadtarchiv Göttingen, Chronik für das Jahr 1936, Seite 9, http://www.stadtarchiv.goettingen.de/frames/fr_chronik.htm, zuletzt aufgesucht am 13.01.2013.

Stadtarchiv Göttingen, Chronik für das Jahr 1993, Seite 9, http://www.stadtarchiv.goettingen.de/frames/fr_chronik.htm, zuletzt aufgesucht am 13.01.2013.

2 Gedanken zu „Die Garnison zu Göttingen

  1. Richard Hölzl

    Per e-mail hat mich der Hinweis auf zwei Publikationen zur Rolle der in Göttingen stationierten Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Wer sich dafür interessiert kann hier nachschlagen:

    Martin Heinzelmann, Die Spuren des Löwen. Zu den verschwiegenen Verbrechen der 31.
    Infanteriedivision der Wehrmacht, Göttingen 2009.

    Martin Heinzelmann, Göttingen im Luftkrieg 1935 – 1945, Göttingen 2003.

    Richard Hölzl

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  2. Martin Heinzelmann

    Ein Hinweis sei erlaubt: Während des Nationalsozialismus sind in Göttingen noch andere Militärbauten neu hinzugekommen, u.a. ein Fliegerhorst. Die Artilleriekaserne wurde später nicht abgerissen, aus ihr wurde das Krankenhaus in Weende. Ein Übersicht dazu bietet: Interessengemeinschaft Garnisonsstadt e.V. (Hg.): Die strenge Form – Zur Geschichte der Militärbauten in Göttingen. Göttingen 1992.

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